Interview der künst­­­­lerischen Leitung von realtime – forum neue musik e. v.

Claudia Birkholz ist die künstlerische Leiterin des Vereins realtime-forum neue musik und des realtime – internationales festival für neue musik.
Anke Fischer ist die Assistenz der künstlerischen Leitung und zuständig für das künstlerische Betriebsbüro.

Was macht eigentlich eine künstlerische Leitung?

Die künstlerische Leitung ist sozusagen das Bodenpersonal eines Festivals. Dadurch können die Künstler:innen sich auf ihre Auftritte konzentrieren und ganz entspannt ihr Ding machen. Und das Publikum kann sich zurücklehnen und eine beeindruckende Aufführung erleben. Bevor es aber so weit ist, überlegen wir zuallererst, welche Konzerte oder Veranstaltungen für unser Publikum interessant und unterhaltsam sein könnten. Wir fragen uns, was die aktuellen Themen in der Welt sind. Was bewegt die Menschen? Danach nehmen wir Kontakt mit Künstler:innen auf, die sich mit diesen Themen beschäftigen. Wir diskutieren künstlerische Ideen und ihre Umsetzung, suchen passende Veranstaltungsorte und kümmern uns um den reibungslosen inhaltlichen Ablauf der Projekte. Im Mittelpunkt steht dabei immer die moderne zeitgenössische Musik. Das gilt für die künstlerischen Inhalte der Konzerte sowie aller weiteren Veranstaltungen und Projekte für den Verein und für das Festival.

Welche Arten von Veranstaltungen liegen dem realtime festival und dem Verein am Herzen?

Da sind zunächst einmal die Gesprächskonzerte wie die Formatreihe „Let’s Talk Music“, bei denen wir Gäste einladen und über die Vielfalt der Neuen Musik sprechen. Dann gibt es auch ungewöhnliche und ausgefallene Musikwerke mit besonderen Instrumenten. Besonders stolz sind wir auf die multimedialen Inszenierungen. Alle unsere Konzerte werden moderiert. Das heißt, wir führen mit auch für Laien verständlicher Sprache in die Werke ein und erzählen, was das Besondere dabei ist, wie es verstanden werden kann. Wir laden ein, ganz offen und unvoreingenommen zuzuhören. Während der Aufführungen sollen – anders als sonst üblich – alle Sensorien des Publikums angeregt werden. Musik, Video, Installationen, Projektionen und immer wieder neue, faszinierende Klänge bereichern das Erlebnis und schärfen alle Sinne. Dazu suchen wir uns ungewöhnliche Orte, die mit der bekannten Atmosphäre eines Konzertsaales elegant und gelegentlich auch ironisch spielen. Das sind zum Beispiel Museen, Ausstellungsräume, Clubs, aber auch Kirchen und Theater oder sogar Heizungskeller.

Was macht die Besonderheit der Neuen Musik aus?

Die Vielfalt der Neuen Musik ist wirklich außergewöhnlich und eines ist sicher: Sie lässt niemanden kalt. Für den Zuhörenden kann es sowohl aufregend wie auch anregend sein, sich auf neue Klänge einzulassen. Und man hat hinterher immer etwas zu erzählen und zu diskutieren. Diese neuen Klang- und Erlebnisräume erzeugen völlig neue Aufführungskonzepte, die beim realtime festival im Mai 2023 zu sehen sein werden. Der Köster-Preis, ein in Bremen ins Leben gerufener Wettbewerbspreis mit hohem Anspruch an Idee und Performance, hat explizit dazu eingeladen, sich neue Aufführungskonzepte auszudenken. Eine große Zahl von Künstler:innen aus vielen Ländern haben ihre Projektentwürfe eingeschickt, aus denen eine internationale Jury die Finalist:innen aussucht. Ein Gewinner:innenprojekt wird dann während des Festivals einstudiert und aufgeführt. Wir haben in die Einsendungen hineingeschaut und können eine wirklich hochkarätige Aufführung versprechen. 

Das Gastland zum Festival im Frühjahr ist Frankreich. Wir haben Künstler:innen und Compagnien mit herausragenden Projekten aus dem in Bremen so gut verankerten Gastland eingeladen. Eine ungewöhnliche Begegnung mit unseren französischen Freund:innen ist garantiert.

Wie ist das Festival aufgebaut und intendiert?

Es soll ein Festival der Musik für alle Musikinteressierten in und um Bremen werden. Darum gibt es neben den Konzerten und multimedialen Performances auch viele Open-Air Aktionen in der Stadt, in der Straßenbahn, in den Wallanlagen, die für alle Menschen zugänglich sind. Dazu bieten wir Workshops für Erwachsene und ganz besonders auch für Kinder und Jugendliche. Ergänzend gibt es TalkTimes, also gut verständliche Gespräche zum aktuellen Musikgeschehen.

Alle Konzerte des Festivals dauern jeweils ungefähr 45 Minuten und zeigen Performances, Projektionen, neuartige Instrumente und vor allem viel Musik, die sich inhaltlich am Thema des Festivals orientiert. Es geht ja um „Mensch-Musik-Maschine“. Wir werden Konzerte hören, die von einer Künstlichen Intelligenz, also einer sich selbst programmierenden und damit umweltsensiblen Software, gesteuert werden. Besonders am Herzen liegen uns multidimensionale Konzerte wie das Musiktheater über den Vater der ersten Rechenmaschine, Alan Turing, oder zum Beispiel Musiker:innen an Spielkonsolen, die für eine Verschmelzung zwischen Video und Live-Musik sorgen.

In der Innenstadt Bremens wird es kleinere spontane und öffentliche Konzerte geben – auch die sind außergewöhnlich. Zum Beispiel wird ein Konzert mit der Beteiligung von Motorrädern oder einem Schlagzeug aufgeführt. In diesem Fall wird es faszinierend, herausfordernd und sogar laut, vielleicht aber ja auch leise und nachdenklich. Wie die Vielfalt der Neuen Musik eben sein kann. Wir freuen uns auf das Publikum, die Künstler:innen und das Festival – und die vielen Begegnungen und den Austausch zwischen allen! Alle Bremer:innen sind herzlich eingeladen.


Claudia Janet Birkholz, geboren in Bremen, ist eine im In- und Ausland gefragte Interpretin für Klaviermusik des 20. und 21. Jahrhunderts sowie Dozentin für Klavier und zeitgenössische Musik an der Hochschule für Künste Bremen.

Sie trat u. a. bei den Bodenseefestspielen, dem Schleswig-Holstein-Musikfestival, Gaudeamus MusicWeek, Wien modern, den Berliner Festwochen, dem Ultraschallfestival, dem Festival für zeitgemäße Musik Bludenz und den Bregenzer Festspielen auf. Sie ist Vorstandsvorsitzende des Vereins realtime – forum neue musik e. v. und künstlerische Leiterin des realtime – internationales festival für neue musik.

Mehr Infos findet ihr hier:
https://cjbirkholz.com/

Anke Marie Fischer studierte Public Relations in München zur PR-Fachwirtin, belegte Seminare in Journalismus und arbeitete mehrere Jahre im Feuilleton regionaler Zeitungen in Bayern. Sie berät und betreut Kultureinrichtungen, bis 2004 in Bayern und heute in Bremen, u.a. für den St. Petri Dom sowie für das Musikfest Bremen. Seit zehn Jahren arbeitet sie für den Verein realtime – forum neue musik e. v. und als künstlerische Assistenz des realtime – internationales festival für neue musik.

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